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Zu alt für eine Ausbildung?

Auf keinen Fall!

Arcangelo Amoroso (51) war in Italien Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei. Nico Hemmerling (30) ist ausgebildeter Kaufmann im Gesundheitswesen und hat bis zum Jahr 2022 im Vertrieb eines Sanitätshauses gearbeitet. Heute drücken beide wieder die Schulbank und haben Hemd und Anzug gegen Kasaks eingetauscht. Sie haben sich für eine weitere Berufsausbildung entschieden und werden im St. Hildegardis Krankenhaus zu Pflegefachkräften ausgebildet.

„Es ist egal, wann man das macht, wenn es das Richtige ist. Wenn man die Möglichkeit hat, sollte man es tun“, sagt Nico Hemmerling über den vielleicht größten Schritt in seinem Leben: aus der beruflichen Sicherheit heraus, hinein in eine Berufsausbildung. Mit 30 Jahren lebt er nun im Schülerwohnheim des Krankenhauses, verdient mit dem Ausbildungsgehalt weit weniger als vorher und geht wieder zur Schule. „Am Anfang hatte ich viele Sorgen, ob ich überhaupt noch lernen und mich so lange konzentrieren kann. Aber nach einigen Monaten weiß ich, dass das Lernen zwar anders ist als damals in der Schule, aber dass es klappt“, berichtet er.

Sein Kollege Arcangelo Amoroso ist noch einmal 20 Jahre älter als er und in der gleichen Klasse der Krankenpflegeschule. Nach dem Jurastudium in Italien und vielen Jahren als Rechtsanwalt ging er für die Pflege seiner Mutter nach Deutschland. Seine Abschlüsse wurden hier nicht anerkannt, also arbeitete er in verschiedenen Branchen als Hilfsarbeiter, während er parallel gemeinsam mit seinen Geschwistern die Mutter versorgte. Nun lernt auch er noch einmal einen neuen Beruf.

Pluspunkt Lebenserfahrung

„Ich dachte, ich wäre der Klassen-Opa, aber unsere Klasse ist sehr altersgemischt und im Umgang mit Kollegen und Mitschülern ist das Alter einfach vollkommen egal“, sagt Hemmerling. Und auch Amoroso findet, dass die Integration sowohl in die Klasse als auch in die Stationsteams für den praktischen Teil der Ausbildung sehr viel besser funktioniert hat, als er befürchtet hatte.

Joana Wald ist als hauptamtliche Praxisanleiterin für diesen Teil der Ausbildung der beiden verantwortlich und sieht ebenfalls keine Konflikte: „Dass ich teilweise jünger bin als die Auszubildenden, stört die Ausbildung überhaupt nicht, weil die Rollen klar sind.“

Im Gegenteil: Ältere Auszubildende sind ein Gewinn für Unternehmen, für Krankenhäuser vielleicht ganz besonders. „In die Ausbildungskurse kehrt etwas mehr Ruhe ein, Reflexionsrunden werden lebhafter durch unterschiedliche Lebensansichten und auch in praktischen Anleitungssituationen merke ich als Ausbilderin, dass oftmals ein besserer Gesamtüberblick vorhanden ist“, erklärt Wald.

Und auch die Auszubildenden selbst sind sicher, dass ihre Lebenserfahrung ein Pluspunkt ist – wer ein paar Krisen überstanden, Menschen kennengelernt und berufliche Höhen und Tiefen erlebt hat, geht mit mehr Gelassenheit an schwierige Situationen, kann Kritik annehmen und hat eine differenzierte Sicht auf den Umgang mit Patienten und Kollegen. Und nicht zuletzt wissen Menschen, die sich in höherem Alter für eine Ausbildung entscheiden, sehr genau, worauf sie sich einlassen.

Klare Vorstellung von Beruf und Berufung

„Pflege ist ein körperlich und psychisch belastender Beruf. Dessen muss man sich bewusst sein und es sollte einem klar sein, dass es Facetten des Berufs gibt, die einfach nicht schön sind“, sagt Nico Hemmerling. Dieses Bewusstsein bringen Menschen mit größerer Lebenserfahrung vielleicht eher mit, wenn sie sich für eine Ausbildung in der Pflege entscheiden. Beide Auszubildende profitieren zusätzlich von ihren persönlichen Vorerfahrungen. Während Arcangelo Amoroso durch die intensive Pflege seiner Mutter und eine ehrenamtliche Tätigkeit im Rettungsdienst ganz praktische Pflegeerfahrung mitbringt, kommt Nico Hemmerling zum einen aus einer Familie, in der fast alle Mitglieder im Gesundheitswesen tätig sind. Zum anderen hat er viele Jahre für einen Träger von Seniorenheimen gearbeitet und auch dort Einblicke in den Pflegealltag bekommen.

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Fühlen sich keineswegs zu alt für eine Ausbildung in ihrem Traumberuf Pflegefachmann: Nico Hemmerling (l.) und Arcangelo Amoroso.

Blauäugig sind die beiden also nicht in ihre Ausbildung gegangen. Entsprechend wissen sie auch sehr genau, warum sie sich für die Pflege entschieden haben. „Wir kriegen emotional so viel zurück“, sagt Amaroso. Wenn beispielsweise ein demenziell erkrankter Patient auf ihn – vielleicht auch wegen seines Alters – positiv reagiert, ist dies für ihn ein Moment, der ihm zeigt, dass er das Richtige tut. „Pflege ist Berufung“, sagt er. So viel Berufung, dass er dafür auch finanzielle Einbußen in Kauf nimmt. „Ich weiß, dass das eine begrenzte Zeit ist, deswegen ist es okay.“ Auch Hemmerling findet den Schritt zurück auf das Ausbildungsgehalt in Ordnung: „Ich habe keine Verantwortung für Kinder oder Familie – wenn nicht jetzt, wann dann? Außerdem sind die Lebenshaltungskosten durch den Platz im Schülerwohnheim reduziert und für die drei Jahre ist das in Ordnung.“

Ältere Azubis: immer seltener eine Ausnahme

Nico Hemmerling und Arcangelo Amoroso haben einen mutigen Schritt gewagt und sich für die Ausbildung in ihrem Traumberuf entschieden, obwohl sie das klassische „Azubi-Alter“ überschritten haben. Dafür nehmen sie Einbußen und eine große Umstellung in Kauf. Dennoch sind beide sicher, dass der Schritt der richtige für sie ist. Bestätigung dafür finden sie auf der Station, auf der sie eingesetzt sind: Dort gibt es einen Kollegen, der ebenfalls in höherem Alter noch einmal die Ausbildung wagte. Damals wurde er als der „älteste Azubi des St. Hildegardis Krankenhauses“ auf Facebook vorgestellt. Beide sahen den Artikel und dachten „Okay, das geht also doch!“ – und arbeiten nun mit genau diesem Kollegen, der mittlerweile examinierter Pflegefachmann ist, zusammen.

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