St. Agatha Krankenhaus Köln: Recherche im Archiv

Wie Geschichte wieder lebendig wird

Eine Recherche im Krankenhausarchiv

Es begann mit einer einfachen E-Mail an das St. Agatha Krankenhaus: Willi Schmidt aus dem 200 km östlich von Köln gelegenen Bad Lippspringe suchte nach seinem Großvater. Dieser war als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg verwundet worden und verstarb in Köln.

Den beschwerlichen Weg seines Ahnen hatte der Enkel bereits auf ungewöhnliche Weise verfolgt: Nur mit Zelt und Karte bewaffnet, radelte der Unruheständler aus dem Ostwestfälischen gen Frankreich, immer entlang der ehemaligen Reichsbahnstrecken und Aufmarschwege des deutschen Heeres, bis hinauf nach Lille, von wo die letzte Feldpost des Großvaters kam. Hier verlor sich dessen Spur, bis der Name später in einer Todes- und Vermisstenliste der preußischen Regierung aus dem November 1914 wieder auftauchte. Denn dort wurde als Todesort des „Wehrmanns Anton Schmidt“ ein gewisses „Agathe Kloster, Cöln“ genannt. 
 

Das Gedächtnis des St. Agatha Krankenhauses 

Daraufhin schickte Willi Schmidt im Frühjahr 2014 eine E-Mail an das St. Agatha Krankenhaus und fragte nach. Eine Recherche erschien mir aussichtslos. Patientenakten müssen in Deutschland nach 30 Jahren vernichtet werden, und andere Dokumente aus so alter Zeit besitzt unser Krankenhaus nicht. Dachte ich. Doch manchmal kommt der Zufall zu Hilfe. Nach einem schrecklichen Unwetter stand ein Teil unseres Krankenhausarchivs unter Wasser. Bei den gemeinsamen Aufräumarbeiten fiel mir ein vergilbtes Buch mit dem Titel: „Aktenverzeichnis 1914– 1921“ sprichwörtlich in die Hände. Und tatsächlich: Im Abschnitt zum November 1914 gab es einen Eintrag zum Patienten Anton Schmidt! 

Unter der Lupe 

St. Agatha Krankenhaus Köln: Recherche im Archiv
Björn Krombusch und Willi Schmidt mit dem Aktenverzeichnis im Archiv des St. Agatha Krankenhauses

Aber irgendwas stimmte hier nicht. Welches Buch konnte nach 100 Jahren noch in so gutem Zustand sein? Und warum kann ich die Handschrift unserer Archivare überhaupt lesen? Schrieb man damals nicht in Sütterlin- oder Kurrentschrift? Ein renommierter Papierrestaurator sollte Licht in das dunkle Buch bringen. Ich erfuhr einiges über die Eigenschaften von Zellulose, über Rückstände von Tinte, Sprungrücken und die damals im Geschäftsverkehr verwendete Schönschrift. Danach hatte ich Gewissheit: Das alte Buch hatte bis zu seiner Wiederentdeckung 100 Jahre friedlich im Keller unseres Krankenhauses geschlummert. 

Der Weg nach Westen (und zurück) 

Trotzdem blieb die Frage, wie und warum ein in Flandern verwundeter Soldat nach Köln gelangen sollte. Hier halfen die Stadtbibliothek und das Stiftungsarchiv weiter. Köln war damals für die Reichsbahn das Drehkreuz zum Westen. Tausende Soldatenzüge rollten hier über den Rhein in den Krieg. Als Lazarettzüge kamen sie vom Schlachtfeld zurück. In den Waggons verrichteten die Krankenschwestern der Cellitinnen ihren Dienst und pflegten dort vielleicht auch den verwundeten Wehrmann Schmidt. Wahrscheinlich wurde er anschließend im Deichmann- Haus am Hauptbahnhof vom Roten Kreuz registriert und dann mit der damals neuen Straßenbahn in unser Krankenhaus verbracht. Dort verstarb er nach 14 Tagen, wie der damalige leitende Chirurg per Unterschrift bestätigte. So war für den Ahnenforscher Willi Schmidt eine lange Reise zu Ende gegangen: Ein Mensch hat Wurzeln. Wurzeln haben Orte. Orte wollen gefunden werden. 

Treffen in Ost und West Die Geschichte hat nicht nur den Enkel Herrn Schmidt, sondern auch mich nicht mehr losgelassen. Deshalb besuchte ich ihn Anfang August 2014 in Bad Lippspringe. Selbstverständlich auch mit dem Fahrrad. Willi Schmidt lebt mit seiner Familie noch in dem Haus, das sein Großvater als gelernter Maurer kurz vor dem Ersten Weltkrieg selbst gebaut hatte. Bis spät in den Abend kramten wir in alten Ordnern und Stammbüchern, blätterten durch vergangene und frische Erinnerungen. Willi Schmidt erzählte vor allem von den Freundschaften, die er auf der Reise in seine Geschichte geschlossen hat. Heute, 100 Jahre später. I m März 2015 folgte nun das Gegentreffen in Köln. Wir führten Willi Schmidt durch das Krankenhaus, das Archiv und die alte Kapelle. Danach besuchten wir gemeinsam die Ausstellung „Köln 1914“ im Stadtmuseum. Der kulturelle Teil endete standesgemäß im Brauhaus. Bei den vielen Erlebnissen und neuen Erfahrungen, die wir gemacht haben, mag man es gar nicht glauben, dass manche Dinge mit einer einfachen E-Mail beginnen.  

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