Ein Kreuz bei Sonnenschein

Recreatio auf dem Franziskusweg

Eine ganzheitliche Reise

Als Krankenhausseelsorgerin hat Vera Meyer immer ein offenes Ohr für Patienten und Mitarbeitende. Doch was, wenn sie selbst einmal eine Pause braucht? Mit der Begehung des Franziskuswegs konnte sie neue Kraft tanken und wieder zu sich selbst finden.

Seit 35 Jahren bin ich als Seelsorgerin im Erzbistum tätig. 28 Jahre in der Krankenhausseelsorge, davon 17 Jahre im St. Agatha Krankenhaus. Dankbar blicke ich auf diese Jahre zurück. Dankbar bin ich auch, dass das Bistum seinen Seelsorgerinnen und Seelsorgern einmalig während der Dienstzeit eine vierwöchige Recreatio zusätzlich zum Jahresurlaub erlaubt, um aufzutanken und die eigene Spiritualität zu fördern.

Nach langer Überlegung habe ich den Franziskusweg in der Toskana/Umbrien ausgewählt, denn ich liebe Bewegung, insbesondere in der Natur. Die Kinder sind groß und zum Teil aus dem Haus und da wollte ich einmal etwas für mich tun. Weil ich die Figur des hl. Franziskus so faszinierend finde – auch sein ökologisches Denken und Fühlen – habe ich mich für diesen Weg in Italien entschieden.

Die Reise beginnt

eine Frau in Wanderklamotten mit Walkingstöcken

Nach zweimaligem pandemiebedingtem Verschieben ging es am 25. September 2021 endlich los. Mein Mann begleitete mich. In der ersten Woche – während eines Campingplatzaufenthalts – beschäftigte ich mich intensiv mit der Literatur zum Franziskusweg und unternahm erste kleine Wanderungen. Sehr bewusst und nicht ohne inneren Widerstand geschah das langsame Umschalten von Unruhe auf „Zeit-Haben“.

In der zweiten Woche begann in Florenz die Wanderung. Sich auf das Nötigste beschränken, alles im Rucksack dabeihaben, zum Teil nicht zu wissen, wo man die nächste Nacht verbringt, das war sehr ungewohnt, neu und aufregend. Die Wege waren herausfordernd, was ihre Länge und die Anstrengung betraf. Mehrfach verliefen wir uns und die Korrekturen waren schwierig und manchmal gefährlich. Parallel machte uns die Kälte in den toskanischen Bergen und in ungeheizten Pensionen zu schaffen. Wäre ich ohne meinen Ehemann auf dem Weg gewesen, hätte ich vermutlich aufgegeben. Aber das Durchhalten war ein wichtiges Ziel, was ich in meinem Leben schon gut beherrscht hatte. Hier erfuhr die Recreatio eine neue Qualität. Ein wahres Glücksgefühl stellte sich jedes Mal ein, wenn wir am Abend mit einem guten Abendessen belohnt wurden. Wohltuend waren die Schönheit der Natur, die einsamen Wege und Pfade. Gott fi nden in der belebten wie unbelebten Natur, auf dem Weg und in der Stille – das ist der große Impuls des hl. Franz, wie er sich im Sonnengesang abbildet.

Umgang mit dem Tod

Das vorherrschende Motiv meiner Reflexion war die Dankbarkeit für die eigene Biografie und den beruflichen Werdegang, für vier Wochen geschenkte Zeit und das weitgehend gute Verhältnis zum Arbeitgeber. Trotz aller Krisen und Veränderungen habe ich von ihm viel Unterstützung erfahren; zahlreiche prägende Freundschaften zu Kolleginnen und Kollegen sind gewachsen.

Das Thema Tod und seine Bewältigung zieht sich ebenfalls durch meine Biografie: Als Krankenhausseelsorgerin war ich schon häufig besonders gefordert, wenn geschätzte Mitarbeitende plötzlich versterben. Während ich persönlich sehr betroffen war, musste ich gleichzeitig auf professionelle Weise die Trauerarbeit des Hauses mitgestalten. Rituale in der Kapelle, Gottesdienste und viele Gespräche gehörten in den Jahren zum zehrenden Teil meiner Arbeit. Auf dem Weg der Recreatio konnte ich all diese Erfahrungen reflektieren, meditieren und loslassen. Beeindruckt hat mich die Haltung von Franziskus dem natürlichen Tod gegenüber, den er als seinen Bruder bzw. seine Schwester annehmen konnte. Weitere starke Impulse in den Reisewochen kamen durch die Fragen auf:

Auf wen höre ich?
Auf mich selbst?
Wie ausgeprägt auf meine Mitmenschen?
Wie auf Gott?
Wie kann ich mir selbst vertrauen?

Mehrfach gab es Erfahrungen, nicht auf mich selbst zu hören, was ein ungutes Gefühl verursachte. Die Reflexion dazu war mir sehr wichtig. Orte, die mich auf dem Pilgerweg nachhaltig begeistert haben, waren die Klöster Camaldoli, La Verna, das Grab des hl. Franz in der Unterkirche von San Francesco, San Damiano und die Eremo delle Carceri oberhalb von Assisi. Das monastische Leben scheint unberührt geblieben von den Krisen der Zeit. Nach manch anstrengendem Aufstieg wurden wir überwältigt vom Ausblick und der Schönheit der Klosteranlagen.

Der Zauber von Assisi

Altar mit Altarbild in blau-weiß dahinter

Es gab nur wenige, aber intensive Begegnungen mit anderen Pilgern. Da waren Gespräche möglich, die sonst nicht so schnell eine Tiefe erreicht hätten. Die Sehnsucht nach menschlicher Begegnung wurde dort besonders spürbar, wo wir stunden- und tagelang niemanden getroffen hatten. Unser Weg endete in Assisi, dem heiligen Ort, der so viel und gleichzeitig so wenig Heiliges bereithielt wie unzählige Devotionalienläden und die ersten hörbaren Gruppen nach der Corona-bedingten Stille.

Wir widmeten uns fünf Tage den franziskanischen Stätten, der hl. Clara und ihren Weggefährtinnen. Höhepunkte waren sicherlich die Besuche der Grabstätten der Heiligen, aber auch der abendliche Pilgersegen in San Francesco. Zu erleben, wie Menschen ihren Seelenfrieden in der besonderen Atmosphäre dieser Orte suchen, war eine sehr berührende und stärkende Erfahrung.

In Assisi konnten wir uns wieder an das „normale“ Leben in Gemeinschaft und Gesellschaft gewöhnen, wieder eine Umstellung und Herausforderung, aber auch eine Hilfe für den Rückweg ins alltägliche Leben. Als Ausblick bleibt der Wunsch, den zweiten Teil des Franziskuswegs erwandern zu können – von Assisi hin nach Rom – vielleicht in einem neuen Lebensabschnitt.

Zurück