Die Seefuchs rettet Flüchtlinge im Mittelmeer
Seefuchs

Mit der Seefuchs unterwegs

Krankenpfleger engagiert sich für Rettungsmission

Es war ein ganz besonderer Rollentausch, den Matthias Petry in 2018 erlebte. Gemeinsam mit weiteren zwölf ehrenamtlichen Helfern machte er sich auf dem Mittelmeer auf die Suche nach Menschen, die mithilfe von Schlauchbooten von Libyen nach Europa flüchten.

Im "normalen Leben" ist er seit knapp 25 Jahren als Anästhesiepfleger im Krankenhaus der Augustinerinnen – Severinsklösterchen tätig. Wir haben mit Matthias Petry über seine Zeit als Crewmitglied der „Seefuchs“ gesprochen. 

Herr Petry, wie sind Sie dazu gekommen, an der Rettungsmission teilzunehmen? 

Die Zusammenarbeit mit Menschen in Notfällen kenne ich ja bereits aus meinem Berufsalltag. Das Verlangen, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen, habe ich schon länger verspürt. Von dem Sohn meiner Freundin habe ich dann zufällig von der Organisation Sea Eye erfahren, die Flüchtlinge vor dem Ertrinken im Mittelmeer rettet, und mich kurzerhand beworben. Durch die Zusage meines Arbeitgebers, mich für fünf Tage freizustellen und eine Woche Urlaub war es mir auch zeitlich möglich, an der Rettungsmission teilzunehmen. Dann ging alles sehr schnell: Bei einem Training in Regensburg lernte ich die anderen Crewmitglieder kennen. Wenige Wochen später trafen wir uns wieder auf Malta, um von dort aus gemeinsam in Richtung lybische Küste zu starten. 

Mussten Sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um für die Mission ausgewählt zu werden? 

Für die Zusammensetzung des Teams gab es nur wenige Vorschriften. Ein Kapitän und ein Maschinist an Bord waren Pflicht. Die übrige Crew setzte sich individuell zusammen und bildete dadurch in unserem Fall auch einen Querschnitt der Gesellschaft ab: Hier trafen Bäcker, Informatiker, Versicherungsmakler, Krankenpfleger, Ärzte und Studenten aufeinander. Vorahnung von Schiffen und Seefahrten hatten nur die wenigsten. Als gelernter Anästhesiepfleger und Rettungssanitäter konnte ich an Bord insbesondere die Aufgabe des Paramedics (nichtärztlicher Rettungsdienst) übernehmen. Zusätzlich dazu gehörte es zu meiner Aufgabe, die Rettungsmission fotografisch zu dokumentieren. 

Matthias Petry auf Station im Krankenhaus der Augustinerinnen

Wie hat man sich das Leben an Bord eines Rettungsschiffs vorzustellen? 

Unser Rettungsschiff, die „Seefuchs“, war eigentlich nichts anderes als ein umgebauter Fischkutter mit einer Länge von 26 Metern. Bis zu unserem Einsatzort waren es zunächst einmal 30 Stunden Fahrt. Als wir dann endlich das Search-and-Rescue-Einsatzgebiet im südlichen Mittelmeer erreicht hatten, mussten wir uns zunächst von den Symptomen der Seekrankheit erholen. Anschließend trainierten wir unsere anstehenden Einsätze mit den Rettungsbooten. Das Einund Auskranen der Rettungsboote war auf dem offenen Meer eine ganz andere Herausforderung als im ruhigen Wasser des Hafens von Valletta auf Malta. In den folgenden Tagen patrouillierten wir mit der „Seefuchs“ ca. 30 Meilen von der Küste Libyens entfernt. Eingegriffen wird generell nur dann, wenn Boote von der italienischen Rettungsleitstelle gemeldet oder von unserer Crew selbstständig entdeckt werden. Hierzu wurden wir in drei Wachschichten eingeteilt, in denen wir das Meer mit Ferngläsern nach Schlauchbooten absuchten. 

Was haben Sie bei den Wachschichten erlebt? Worin bestanden die Herausforderungen? 

Meine ersten „Sichtungen“ waren eher skurril als erfolgreich: Nachdem ich eine Schildkröte für ein Schlauchboot gehalten hatte, war mein nächster „Fund“ ein Strohballen. Am Tag unserer geplanten Rückreise entdeckten wir dann am frühen Morgen jedoch tatsächlich noch ein völlig überfülltes Schlauchboot am Horizont. Die Situation war dramatisch. Das Boot verlor zunehmend Luft und die Geflüchteten litten unter Hautverätzungen und Verletzungen. Durch die Erfahrung der vorangehenden Tage, in denen wir bereits zwei Rettungseinsätze gemeistert hatten, funktionierten wir als Team nun einwandfrei. Nach und nach konnten wir die Menschen beruhigen, mit Schwimmwesten ausstatten und an Bord der „Seefuchs“ retten. Anschließend begannen wir damit, alle 128 Personen mit Trinkwasser, Wärmedecken und Medizin zu versorgen. 

Aufnahme von Flüchtlingen vor Rettung
Seefuchs

Was passierte mit den Geflüchteten, nachdem Sie sie an Bord der „Seefuchs“ retten konnten? 

Anders als bei den vorangehenden Einsätzen, über die wir von der italienischen Seenot-Rettungsleitstelle mrcc Rome informiert worden sind, übergaben wir nicht alle Geflüchteten nach der Erstversorgung an ein größeres Schiff. Frauen, zwei Kinder und Verletzte wurden uns von einem Boot der italienischen Küstenwache abgenommen, alle übrigen Menschen sollten wir selbst nach Italien bringen. Die Tatsache, dass unser alter Fischkutter für den Transport so vieler Menschen nicht geeignet war, änderte nichts an dieser Entscheidung. Also versuchten wir die Situation bestmöglich zu bewältigen: Wir verteilten Couscous mit Brühe, um den ersten Hunger zu stillen. In der Nacht lagen dann überall an Deck Menschen in gold-silbernen Wärmefolien. Jedem Passagier an Bord blieb weniger als ein halber Quadratmeter Lebensraum. Auch gingen unsere Frischwasservorräte langsam zur Neige, sodass wir zur Körperhygiene nur noch Seewasser nutzen konnten. Als wir nach einer weiteren Nacht endlich die Lichter Siziliens erblickten, brachen unsere Gäste an Bord der „Seefuchs“ schließlich in Freude und Tränen aus. Im Hafen von Porto Empedocle half unsere Crew jedem Passagier bei seinem ersten Schritt auf europäischem Boden. 

Was hat Sie während Ihrer Zeit auf der Rettungsmission am meisten geprägt? 

Das Miteinander zwischen Rettern und Geretteten zu erleben, war beeindruckend. Wir konnten den Geflüchteten das Gefühl geben, endlich wieder als Menschen wahrgenommen zu werden. Besonders berührend war für mich der Moment, als sich unsere Gäste an Bord der „Seefuchs“ aus ihren Wärmefolien Kleider und Schleifen gebastelt und vor Freude gesungen und getanzt haben. Dieses Bild werde ich nie vergessen. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Das Interview führte Sina Marie Nolte, Volontärin Unternehmenskommunikation, Stiftung der Cellitinnen e.V., Köln.

Zurück